Magazin · Tierschutz aktiv · 14. Juni 2024 · 4 Min. Lesezeit
Wie Tierschützerin Anna-Maria 400 Straßenhunde von der Müllkippe in Xanthi retten will
In Xanthi, Griechenland, leben rund 400 Hunde auf einer Mülldeponie unter erbärmlichen Bedingungen. Tierschützerin Anna-Maria Zafeiriadou ist seit Monaten täglich vor Ort, um die Hunde mit dem Nötigsten zu versorgen und der Lage Herr zu werden. Wir waren vor Ort und haben mit ihr über die größten Gefahren und mögliche Lösungen gesprochen.
Sie kümmert sich, wenn andere wegschauen und das große Leid ignorieren: Tierschützerin Anna-Maria Zafeiriado. Foto: VETO
Die Situation auf der Deponie in Xanthi ist dramatisch: Hunde durchwühlen die Müllberge nach Fressbarem. Viele von ihnen haben schorfige Haut und sind von unzähligen Zecken befallen. Toxische Rückstände aus den Abfällen sammeln sich in einem kleinen Bachlauf – der einzigen verfügbaren Trinkwasserquelle der Hunde.
Welpen, die in dieses leidvolle Umfeld hineingeboren wurden, kämpfen ums Überleben. „Wir haben schon 250 Hunde kastriert und zählen trotzdem aktuell 100 Welpen, vielleicht auch mehr“, schildert Anna-Maria.
Die Tierschützerin und ihr Team geben alles, um die Welpen zu retten, doch für viele kommt jede Hilfe zu spät. Die traurige Bilanz: Von mehr als 200 Welpen, die Anna-Maria und ihr Team in den vergangenen acht Monaten gerettet haben, haben nur 20 überlebt. Krankheiten, verunreinigtes Wasser und geschwächte Muttertiere, die die Welpen nicht ausreichend versorgen können: Aufgrund der desolaten Zustände auf der Müllkippe hatten die Welpen keine Chance.
Politik zieht sich aus Verantwortung und überlässt Müllhalde in Xanthi den Tierschützer:innen
Die Regierung hatte im vergangenen Jahr Gelder für Kastrationen und die medizinische Versorgung von 150 Hunden bereitgestellt. Ein Anfang. Bei mehr als 400 Hunden, die täglich mit Futter und Wasser versorgt werden müssen und sich stetig weitervermehren, war das jedoch leider nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Bürgermeister der Gemeinde bat Anna-Maria Zafeiriadou vergangenen Herbst um Hilfe. Vor Ort erwartete Anna-Maria eine Situation, die sich als weitaus dramatischer darstellte, als zuvor von Seiten der Kommunalpolitik beschrieben.
„Am ersten Tag, an dem ich hier war, erzählte der Bürgermeister von etwa 20 oder 30 Hunden, die hier lebten“, blickt Anna-Maria zurück. „Ich war mehr als geschockt. Ich hatte so etwas noch nie gesehen. Inmitten des Mülls liefen Muttertiere mit geschwollenen Zitzen herum und hunderte Welpen, die wir am nächsten Tag schon nicht mehr finden konnten. Ich konnte tagelang nicht schlafen, weil ich nicht wusste, wie ich hier helfen kann.”
Müllhalde in Xanthi birgt für die Straßenhunde unzählige Gefahren
Die Bedingungen, unter denen die Straßenhunde auf der Müllhalde leben müssen, sind katastrophal. „Die größte Gefahr zurzeit stellt gar nicht einmal das Verhungern oder der Wassermangel dar, weil wir Futter und Wasser zur Verfügung stellen“, erklärt Anna-Maria. Es seien hingegen die Maschinen und Parasiten, die das Leben der Hunde am stärksten bedrohen. „Durch Zecken und Insekten werden die Hunde krank.“
In dem Meer aus Plastiksäcken, Metallgegenständen und verdorbenen Abfällen finden die Hunde kaum Fressbares. Sie sind auf Anna-Marias Hilfe angewiesen. Foto: VETO
Wie viele Hunde aktuell auf dem weitläufigen Gelände leben, kann Anna-Maria nur schätzen. Sie tut dies anhand der Anzahl an Muttertieren. „Wenn wir eine säugende Hündin sehen, wissen wir, dass sie zwischen drei und elf Welpen hat. Der Mittelwert liegt also bei sieben Welpen pro Hund. Wenn wir also zehn Muttertiere zählen, sind es 70 Welpen.”
Xanthi: Hunderte Straßenhunde auf einer Müllhalde und eine Tierschützerin auf sich allein gestellt
Die menschliche Ignoranz und Gleichgültigkeit seitens der Politik, der lokalen Bevölkerung und den Menschen, die auf der Deponie arbeiten, lässt die Tierschützerin verzweifeln. Sie hat kein Verständnis dafür, dass die Situation in Xanthi dermaßen eskalieren konnte.
„Was mich von Anfang an fassungslos gemacht hat und ich nicht verstanden habe, war, wie Menschen hier arbeiten können und niemand darüber spricht“, sagt Anna-Maria.
„Wie kann es sein, dass man sieht, wie ein Bagger eine Hündin und ihre Welpen samt dem Müll entsorgt und niemand den Mund aufmacht? Wie kann es sein, dass wir uns daran gewöhnt haben? Ist das normal? Nein, das ist nicht normal.”
Die Griechin fühlt sich im Stich gelassen. Sie allein kann dieses Problem nicht lösen, das ist ihr bewusst: „Meine größte Angst ist, dass Menschen diese Hunde vergessen und ich mit 400 Hunden alleine zurückbleibe und niemand helfen wird. Und was dann?”
Die Müllhalde in Xanthi: Ein Tierschutz-Albtraum mitten in Europa
In den Monaten, in denen sich Anna-Maria auf der Müllhalde tagtäglich für die Straßenhunde einsetzt, musste sie Schreckliches sehen. Hunde, die aus Verzweiflung die Kadaver von Artgenossen fressen, Hunde, die in der Müllpresse zerquetscht werden oder Welpen, die von Vögeln gefangen werden.
Mit Tränen in den Augen erzählt uns Anna-Maria von den Hunden, die sie trotz aller Bemühungen nicht retten konnte. „Ich erinnere mich an die ‘Geister-Hündin’. Sie war nur noch Haut und Knochen und hatte sich mit ihren Welpen in einem Erdloch versteckt“, erinnert sich die Tierschützerin. „Es war, als läge das Elend der gesamten Welt auf dieser Hündin. Sie war im Begriff zu verhungern, zu sterben, weil sie nichts zu fressen finden konnte. Und ihre Welpen lagen hilflos daneben. Die Hündin hat nicht überlebt und ihre Welpen sind in den nächsten Tagen auch gestorben. Ich konnte sie nicht retten. Wir können nicht alle retten, das weiß ich. Aber manchmal ist es hart.”
Es ist schwer zu glauben, dass sich dieser Tierschutz-Albtraum mitten in Europa befindet. Auch Anna-Maria kann das nicht verstehen. „Das ist nicht Europa. Das hier ist nicht Europa. In Europa könntest du solche Bilder nicht sehen. Das wäre verrückt. Du würdest weinen. Wir alle würden weinen. Nicht nur ich, wie eine alte verrückte Frau.”
Viele der Straßenhunde sind in einem desolaten Zustand und müssen medizinisch behandelt werden. Foto: VETO
Die einzige Chance für ein Ende des Leids: Kastrationen
Nur flächendeckende Kastrationen können auf der Müllhalde in Xanthi zu einer langfristigen Lösung führen. Ohne ein Eingreifen werden sich die Hunde weitervermehren. Das weiß auch Anna-Maria: „Kastrationen sind das Wichtigste und vielleicht könnte diese Geschichte gut enden.”
Die Tierschützerin träumt von einer eigenen Tierarztpraxis, um den Straßenhunden von Xanthi endlich helfen zu können – und um Kosten zu sparen. Behandlungstische, ein Röntgengerät, Medikamente: Die Kosten für die Erstausstattung einer Tierarztpraxis schätzt Anna-Maria auf zehn bis 20.000 Euro.
„Wir eröffnen eine Praxis und kastrieren ohne Limit. Wir könnten jeden Tag Kastrationen durchführen und Menschen auffordern, ihre Hunde und Katzen herzubringen und kostenlos kastrieren zu lassen.”, erklärt die Tierschützerin. „Wir könnten mit gutem Beispiel vorangehen.”
Anna-Maria erklärt uns, wie hoch die Kosten wären, die sie einsparen und für die Behandlung weiterer Straßenhunde nutzen könnte. „Wir bezahlen aktuell 150 Euro für eine Kastration, inklusive Chippen und Bluttests. Mit diesem Geld könnten wir zwei, drei oder mehr Hunde versorgen. Man kann sich also vorstellen, wie viel Geld wir sparen würden und wie viele Hunde wir kastrieren könnten.”
Der Traum von einer eigenen Praxis: Ein Hoffnungsschimmer für Griechenlands Straßentiere?
Die derzeitige Situation auf der Müllhalde belastet Anna-Maria sehr. „Ich habe wirklich Angst. Ich werde mich erst sicher fühlen, wenn ich weiß, dass alle Hunde kastriert sind.”, sagt sie.
„Wenn alle Hunde kastriert wären, wäre ich beruhigt und hätte das Gefühl, wirklich etwas bewegt zu haben.”
Die Tierschützerin denkt dabei über die Grenzen der Müllhalde von Xanthi hinaus: „Hier in Xanthi haben wir rund 6.000 Straßenhunde, in ganz Griechenland sind es mehr als drei Millionen”, schildert sie.
Von Katzen spreche niemand, ergänzt die Griechin, sie würden niemanden interessieren. „Wenn es schätzungsweise drei bis vier Millionen Hunde gibt, wie viele Katzen müssen es dann erst sein, wenn sie alle drei Monate Kitten zur Welt bringen. Die Zahlen sind riesig.”
Und so hält Anna-Maria an ihrem Traum von einer Praxis fest, in der ohne Einschränkungen kastriert werden kann. „Das ist die einzige Lösung. Eine andere Lösung gibt es nicht.”
So kannst du den Straßenhunden auf der Müllhalde in Xanthi helfen
Mit der VETO-Rettungsmission „Müllhalde” unterstützen wir Anna-Maria dabei, das Leid der Straßenhunde langfristig zu beenden. Neben Futter sammeln wir gezielt Geldspenden, um die Kastrationen der Hunde zu finanzieren. Damit der Albtraum in Xanthi ein Ende hat und den Tieren ein Leben in Würde ermöglicht wird.