Magazin · Tierschutz aktiv · 11. Mai 2022
· 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert am 10. Juni 2024
Von Straßentier bis Kettenhund: Tierschutz in Griechenland
In Griechenland leben etliche Hunde und Katzen auf der Straße. Wie es zu der hohen Population kommt und warum trotz Tierschutzgesetz so viele Haus- und Straßentiere leiden, erfährst du in diesem Beitrag.
Das Leid auf Griechenlands Straßen ist groß. Viele Tiere werden einfach ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Foto: VETO
Wer schon einmal in Griechenland Urlaub gemacht hat, hat sie sicher schon gesehen: Unzählige Straßentiere streunen durch die Straßen, leben auf Hotelanlagen oder betteln am Strand nach Futter und Aufmerksamkeit. Freilebende Hunde und Katzen gehören in vielen Teilen Griechenlands ganz selbstverständlich dazu. Das Problem: Niemand kümmert sich verantwortungsvoll und verlässlich um die Vierbeiner. Doch wie kam es, dass es in Griechenland so viele Straßentiere gibt?
Das Leid der griechischen Straßentiere – ein menschengemachtes Problem
Straßentiere und Menschen stehen immer wieder in Konflikt. Dabei ist das Leid der vielen Straßenhunde und Straßenkatzen ein menschengemachtes Problem. Denn bei Straßentieren handelt es sich um ehemalige Haustiere oder deren Nachfahren. Ihre Halter:innen konnten oder wollten sich nicht mehr um sie kümmern und setzten sie aus – und das häufig unkastriert.
Vielerorts ist das Bewusstsein für Tiere als Familienmitglieder noch nicht vorhanden – gerade in ländlichen Gegenden. Die Tiere werden für einen bestimmten Zweck angeschafft – etwa als Wach- oder Jagdhunde – und wenn sie diese Funktion nicht mehr erfüllen oder Menschen ihrer überdrüssig sind, werden sie kurzerhand abgeschafft. Die Tiere werden auf der Straße ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen.
Menschen nehmen häufig an, dass die Straßentiere allein zurechtkommen. Doch ohne Unterstützung endet das Leben von vielen von ihnen frühzeitig. Gerade für Welpen und Kitten bedeutet das Dasein auf der Straße das Todesurteil. Insbesondere im Sommer, wenn die Temperaturen in Griechenland auf Extremwerte ansteigen, finden die Tiere weder ausreichend Futter noch Wasserquellen – und die tägliche Suche nach Nahrung wird zum Überlebenskampf.
Zudem birgt das Leben auf der Straße unzählige Gefahren für die Tiere – ob durch Parasiten und Krankheiten, den Straßenverkehr oder Menschen, die ihnen schaden wollen. Straßentiere sind vielerorts nicht gerne gesehen, werden als Belästigung oder Bedrohung wahrgenommen. Oftmals werden sie von Menschen misshandelt oder getötet. Besonders in den beliebten Urlaubsgebieten Griechenlands berichten Tierschutzvereine von Vergiftungsaktionen.
Die Orte sollen vor dem großen Ansturm der Tourist:innen von Straßentieren befreit werden. Tötungsstationen – wie es sie in anderen europäischen Ländern gibt – existieren in Griechenland nicht. Dennoch fallen zahlreiche Hunde und Katzen diesen Tötungsaktionen zum Opfer, wissen die Tierschützer:innen vor Ort
„Die Menschen, die die Straßenhunde nicht mögen, machen Anzeigen und bezeichnen die Hunde als aggressiv, obwohl es nicht stimmt. Es sind sehr liebe Hunde und das belastet vor Ort am meisten. Teilweise werden auch Hunde vergiftet.“
Insbesondere in der Mittelmeerregion lauert im Sommer eine weitere Gefahr, der zahlreiche Hunde und Katzen zum Opfer fallen: Waldbrände. Allein 2023 gab es in Griechenland laut Nachrichtendiensten mehr als 500 große Brände. Die Straßentiere sind den Flammen schutzlos ausgesetzt, sie können nur eins: Um ihr Leben rennen! Vielen von ihnen gelingt es nicht, den Flammen zu entkommen. Diejenigen, die es schaffen, sind oft schwerverletzt.
Aktiv als Tierschützer:in in Griechenland: eine Lebensaufgabe
Tierschützer:innen in Griechenland kämpfen allein auf weiter Flur. Sie sind die Einzigen, die Verantwortung für die Straßentiere übernehmen und tun alles, um möglichst viele von ihnen zu retten. Für die Straßentiere sind sie häufig die einzige Chance zu überleben.
Tierschützer:innen wie Zafeiroula Tegou, genannt Zafi, die sich in Grevena um rund 120 Hunde in ihrem Tierheim sowie etliche Straßentiere kümmert, erhalten nur selten Hilfe von Gemeinden oder Behörden. Sie sind fast ausschließlich auf Spenden angewiesen. Es sind einzelne Tierschützende wie Zafi, die ihr ganzes Leben der Rettung und Versorgung der Tiere widmen. Kümmern sie sich nicht um die Tiere, tut es keiner.
In unserem Video siehst du, wie der Alltag von Tierschützerin Zafi abläuft.
Das Aussetzen von Hunden und Katzen ist in Griechenland sehr verbreitet. Das Leid, das dadurch entsteht, wird ignoriert. Die Tiere sind nicht mehr gewollt und werden teilweise wie Müll entsorgt. Das zeigt ein Beispiel aus der griechischen Stadt Xanthi. Hunde werden dort wie Müll auf einer Deponie abgeladen und sich selbst überlassen. Rund 400 Tiere halten sich mittlerweile auf der Müllhalde auf und suchen inmitten von spitzen Gegenständen, Tablettenschachteln, Chemikalien und verseuchtem Grundwasser verzweifelt nach Nahrung.
Die einzige Chance für die Tiere: Tierschützende wie Anna-Maria Zafeiriadou, die alles versuchen, um das Leben der weggeworfenen Tiere zu retten und Verantwortung übernehmen, nachdem sich die ehemaligen Halter:innen dieser einfach entzogen.
„Wenn Menschen einen Hund nicht mehr wollen oder er ein Problem für sie darstellt, setzen sie ihn hier aus, weil es hier schon andere Hunde gibt. Die Menschen glauben, dass der Hund hier überlebt. Doch das Gegenteil ist der Fall.“
Der Tierschutz-Albtraum in Xanthi: Das Leid ist groß, doch wird ignoriert. Foto: VETO
Anna-Maria ist seit mehr als acht Monaten täglich vor Ort, um die Hunde zu versorgen und, wenn möglich, zu kastrieren. Doch es sind einfach zu viele. Die Situation ist dramatisch, doch Menschen schauen tatenlos zu – oder weg.
„Wie kann es sein, dass man sieht, wie ein Bagger eine Hündin und ihre Welpen samt dem Müll entsorgt und niemand den Mund aufmacht? Wie kann es sein, dass wir uns daran gewöhnt haben? Ist das normal?”
Tierschützende in Griechenland wie Anna-Maria sind verzweifelt und brauchen dringend Unterstützung. 6.000 Straßenhunde gibt es laut Informationen von Anna-Maria allein in Xanthi. In ganz Griechenland geht sie von drei Millionen aus.
Kuschelwelpe oder Kettenhund: So unterschiedlich werden Haustiere in Griechenland behandelt
Doch nicht nur auf Griechenlands Straßen ist die Not groß. Auch viele Haustiere leben unter schlimmen Bedingungen. Die Art und Weise, wie Haustiere in Griechenland behandelt werden, ist durchaus paradox. Für reinrassige Welpen geben Menschen sehr viel Geld aus und behandeln sie gut. Das Problem dabei ist, dass immer mehr Tiere dieser Mode-Rassen gezüchtet werden und die Tierheime weiterhin überfüllt sind mit Hunden, die niemand haben möchte.
Im Gegensatz zu den reinrassigen Hunden fristen die sogenannten Kettenhunde – auch Tonnenhunde genannt – ein trostloses und nicht artgerechtes Leben. Sie werden oft schon als Jungtier an eine schwere, kurze Kette gelegt, um ein Gelände zu bewachen. Sie dienen sozusagen als lebendige Alarmanlage. Besonders in den ländlicheren Regionen des Landes ist diese Art der Ausnutzung von Tieren noch sehr verbreitet, bei der die Hunde nur selten gefüttert werden und keine menschliche Zuwendung erfahren.
Die Tiere werden nur für einen bestimmten Zweck angeschafft – und können sie diesen nicht mehr erfüllen, entledigt man sich ihrer und es wird einfach ein neues Tier an die Kette gelegt. Wenn Tierschützer:innen Hunde aus dieser qualvollen Haltung befreien können, sind sie in einem erbärmlichen Gesundheitszustand. Manchmal sind ihre Halsbänder eingewachsen, weil sie schon seit dem Welpenalter an der Kette liegen.
Das Tierschutzgesetz, das nicht befolgt wird
Das große Leid, das das Leben von unzähligen Hunden und Katzen in Griechenland prägt, steht in Kontrast zu einem Tierschutzgesetz, das durchdacht wirkt und vergleichsweise fortschrittlich ist. Zuletzt wurde es 2021 verbessert. In diesem Gesetz ist beispielsweise verankert, dass Hundehalter:innen in Griechenland spätestens acht Wochen nach der Geburt ihren Vierbeiner registrieren lassen müssen. Die Halter:innen verpflichten sich per Gesetz dazu, auf das Wohl des Tieres zu achten und mindestens einmal im Jahr eine tierärztliche Vorsorgeuntersuchung durchführen zu lassen. Für diesen Check-Up erhalten sie sogar einen Gesundheitspass für ihr Haustier.
Seit 2021 besteht zudem eine Kastrationspflicht für Haustiere. Vierbeiner, die älter als ein Jahr sind, müssen per Gesetz kastriert oder sterilisiert werden. Nimmt man ein älteres Tier bei sich auf, hat man sechs Monate Zeit, sich um eine Kastration zu kümmern.
Das Aussetzen von Hunden und Katzen ist seit der Reformation ausdrücklich verboten. Misshandlungen, Verletzungen und das Quälen von freilebenden Tieren sind laut diesem Gesetz ebenfalls untersagt. Kranke Straßentiere sollen sogar medizinisch versorgt werden.
Wie in vielen Ländern findet aber auch in Griechenland das Tierschutzgesetz kaum Anwendung. Die Kastrationspflicht existiert lediglich auf dem Papier und nach wie vor werden Hunde und Katzen sehr oft ausgesetzt.
Die Straßenkatzen in Griechenland leiden meist im Verborgenen. Hinter der stoischen Fassade steckt meist ein hungerndes, verletzliches und hilfsbedürftiges Tier. Foto: VETO
Griechenland: In kleinen Schritten Richtung Tierwohl?
Doch was braucht es, damit es langfristig zu Besserungen kommt, wenn selbst ein Gesetz, das für mehr Tierwohl sorgen soll, nichts bewirkt?
Trotz des überarbeiteten Tierschutzgesetzes leben die meisten Vierbeiner in Griechenland unter schlechten Bedingungen: Zahlreiche Straßentiere sind tagtäglich großen Gefahren ausgesetzt und Kettenhunde führen ein erbärmliches Leben ohne ausreichende Versorgung. Tierschützer:innen in Griechenland ist es zu verdanken, dass einige dieser Tiere eine Chance auf ein schönes Leben haben.
Die einzige Lösung, um das Leid langfristig zu beenden: Ein kollektives Umdenken in der Bevölkerung. Für dieses Ziel setzen sich die Tierschützer:innen unermüdlich ein – sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Ein kräftezehrender und langwieriger Prozess.
„Die Einstellung der Bevölkerung hat sich ein wenig verbessert, aber nicht bei jedem. Viele Straßenhunde werden immer noch als Bedrohung gesehen.“
Das Verständnis von Hunden und Katzen als fühlende Lebewesen und Teil der Gesellschaft muss in Griechenland etabliert werden, damit Verantwortung für die Tiere übernommen wird – und zwar ein Leben lang. Die Kastrationspflichten und das Verbot des Aussetzens der Tiere müssen flächendeckend Anwendung finden, damit künftiges Leid verhindert wird.
VETO unterstützt Vereine, die langfristige Veränderungen durch Kastrationen und Öffentlichkeitsarbeit erwirken. Gleichzeitig hilft VETO auch Tierschützenden wie Anna-Maria in akuten Notfällen. Die unzähligen Tiere auf Griechenlands Straßen brauchen dringend Hilfe. Ohne menschliche Unterstützung endet das Leben von vielen von ihnen frühzeitig. Vor ihrem Leid dürfen die Augen nicht mehr verschlossen werden. Der Mensch, der für diese Misere verantwortlich ist, muss endlich Verantwortung übernehmen.