Magazin · Tierschutz aktiv · 29. August 2023 · 5 Min. Lesezeit
Fortschritt durch Kastrationen: ein deutscher Verein startet Tierschutzprojekt in Rumänien
Schätzungsweise hunderttausende Straßenhunde fristen in Rumänien ein leidvolles Dasein. Ein Tierschutzverein aus Deutschland hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Problem bei der Wurzel zu packen und initiiert mit viel Herz und Verstand Tierschutzmaßnahmen vor Ort.
In provisorisch eingerichteten Operationssälen kastrieren Tierärzt:innen im Akkord. Foto: resQdogs e. V.
An einem Vormittag nähern sich in Onești in Rumänien zwei Tierschützerinnen einem kleinen Haus. Sie sind in Begleitung von zwei Mitarbeitern der Stadt, die vom Bürgermeister entsandt wurden. Eine große, braune Hündin bellt laut, als die Gruppe vor dem kleinen Tor steht, das zum Garten führt. Sie zieht eine schwere Metallkette hinter sich her, die ihr Halsband mit ihrer kleinen, selbstgebauten Hundehütte verbindet. Ihr Bellen klingt bedrohlich. In diesem Moment tritt die Anwohnerin aus der Haustür und schickt die Kettenhündin vom Tor weg.
Die Mitarbeiter der Stadt sind an ihrer Dienstkleidung gut zu erkennen und werden freundlich begrüßt. Danach stellen die rumänischen Tierschützerinnen sich vor und erläutern den Grund ihres Besuchs: Sie geben die nächsten Termine bekannt, an denen Haustiere kostenlos kastriert werden können. Laut Gesetz sind eigentlich alle Hundehalter:innen dazu verpflichtet, ihr Tier kastrieren zu lassen. Doch meist haben die Menschen in Rumänien einfach nicht das nötige Geld oder sind nicht aufgeklärt über das Thema.
Die Hündin in ihrem Garten sei nicht kastriert, erzählt die Frau. Sie verbringe Tag und Nacht hier draußen, um das kleine Grundstück zu bewachen. Welpen hatte sie bisher noch nicht.
Geduldig erklären ihr die Tierschützerinnen, warum Kastrationen von Hunden so wichtig sind – besonders, wenn sie ausschließlich im Garten leben: In Onești gibt es, wie in den allermeisten Orten in Rumänien, sehr viele Straßenhunde. Weil diese nicht kastriert sind, ist es nur eine Frage der Zeit, bis ein streunender Rüde die Hündin an der Kette deckt. Die Anwohnerin zeigt sich einsichtig. Einen Wurf Welpen möchte sie nicht auf ihrem Grundstück. Ein Stadtmitarbeiter zeigt ihr eine Liste mit den Kastrationsterminen und trägt ihren Namen ein.
Deutscher Tierschutzverein setzt neue Standards
Hinter dieser groß angelegten Kastrationsaktion steht der deutsche Tierschuztverein resQDogs e. V., der es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Leid der Tiere in Rumänien zu lindern. Für die Vereinsvorsitzenden Lena Hofmann und Leslie Bernschneider sind flächendeckende Kastrationen im Land der einzige wirkungsvolle Weg, um die Überpopulation der Tiere in den Griff zu bekommen.
Rund 800 Tiere hat der Verein im vergangenen Jahr kastrieren lassen. 2023 sollen es noch mehr werden. Dabei konzentrieren sie sich aber nicht auf die Tiere in Tierheimen, sondern auf Besitzertiere, also auf Vierbeiner, die ein Zuhause haben. Denn diese setzten deutlich häufiger ungewollten Nachwuchs in die Welt, als Hunde in Tierheimen. Mindestens einmal im Jahr organisieren die deutschen Tierschützerinnen eine Kastrationsaktion in verschiedenen Regionen des Landes und sind dabei selbst vor Ort.
Saskia Frank, eine Sprecherin des Vereins, erklärt uns im Interview, warum dieses Projekt so erfolgreich ist: „Wir arbeiten mit den Tierschützer:innen und Tierärzt:innen vor Ort zusammen. Wir müssen alle Kosten vorher mit Spendengeldern selbst zusammenbekommen. Wichtig ist, sich im Vorfeld genug Zeit zu nehmen, um auf die Aktion aufmerksam zu machen und um genug Spendengelder zusammenzusammeln. Aufklärungsarbeit und ein Team vor Ort, das die Landessprache spricht und Vertrauen aufbaut, sowie die Unterstützung der Politik machen unsere Aktionen zu einem großen Erfolg. Bei unserer letzten Aktion wurden fast 500 Tiere in nur vier Tagen kastriert – nicht Tierheimtiere, sondern Anwohnertiere.“
Auslandstierschutz mit Weitsicht
Die regelmäßigen Kastrationstage von resQdogs e. V. zeigen Wirkung: Laut Tierschützer:innen werden deutlich weniger Welpen auf der Straße gefunden. Bei den Menschen vor Ort findet langsam ein Umdenken statt. Viele sind dankbar, dass der Verein aus Deutschland sich der Problematik der Überpopulation annimmt. Inzwischen sind die Tierschützer:innen und ihr Projekt bei vielen Bürger:innen von Onești bekannt und die Aktionen werden sehr gut angenommen.
Auch der Bürgermeister ist vom Engagement des Tierschutzteams und dem Benefit für seine Stadt begeistert. Für die nächsten Kastrationstage hat er bereits seine Unterstützung zugesichert und wird selbst mit den Menschen in Onești sprechen, um für das Thema Kastrationen zu sensibilisieren. Auch Plakate mit den wichtigsten Informationen werden in der Stadt aufgehängt, damit noch mehr Menschen auf die Aktion aufmerksam werden.
Vermittlung nach Deutschland vs Kastrationen in Rumänien
Kastrationskampagnen in dieser Größenordnung sind in Rumänien aufgrund des enormen finanziellen und organisatorischen Aufwands eher die Ausnahme. Häufig handhaben Tierschutzvereine es so, dass die Tiere, die bereits im Tierheim leben, kastriert und anschließend in ein Zuhause vermittelt werden.
Für viele Vierbeiner bedeutet das, dass sie endlich ihr Happy End finden, dennoch ist dieses Konzept nicht optimal, findet Saskia Frank: „Das Problem ist mit der Unterbringung in Tierheimen und der Vermittlung nicht gelöst. Wir arbeiten mit dem Tierheim Onești zusammen, da sind 600 Hunde untergebracht. Das heißt, Hunde, die in dieses Tierheim kommen, kommen in eine Umgebung, die für sie einfach Stress bedeutet. Sie müssen um Ressourcen kämpfen und ganz schnell sind sie nicht mehr zutraulich, sondern ängstlich.
Das sind Tiere, die aus unserer Sicht nicht vermittelt werden sollten. Manche Tierschutzvereine machen das, aber wir haben davon Abstand genommen. Wir sagen, dass es nichts bringt, sie nach Deutschland zu bringen, wo sie dann nicht klarkommen, vielleicht sogar beißen. Diese Hunde landen später vielleicht in einem deutschen Tierheim. Und die Tierheime hier sind auch voll. Diese Kastrationskampagnen sind die einzige Möglichkeit, der unkontrollierten Welpenflut etwas entgegenzusetzen und das Leid zu stoppen.“
Am liebsten würde der Verein auch Kastrationsaktionen für Straßenhunde anbieten und diese anschließend an sicheren Orten wieder freilassen. Das Trap-Neuter-Return-Programm ist neben den Kastrationen von Tierheim- und Besitzertieren eine wirkungsvolle Methode, um die Vermehrung einzudämmen. Doch bei Hunden ist dies leider gesetzlich untersagt. „Es wäre toll, wenn wir das machen könnten“, erklärt Saskia Frank. „Dann würden wir an zwei Fronten kämpfen und Besitzertiere und Straßentiere könnten keinen Nachwuchs zeugen. Aber leider dürfen wir das nicht.“
Diese Welpen hätten als Straßentiere kaum eine Chance gehabt, denn nur wenige überleben. Foto: resQdogs e. V.
Unterstützung auf allen Ebenen
Neben seinen flächendeckenden Kastrationsprojekten hat der Verein sich die verlässliche Unterstützung des städtischen Tierheims auf die Fahnen geschrieben, wo auch die beiden Tierschützerinnen tätig sind, die von Tür zu Tür gehen, um über Kastrationen aufzuklären. Der Tierschutzverein resQdogs e. V. setzt sich mit aller Kraft für ein artgerechtes Leben im Tierheim ein und für eine Eindämmung der Straßentierpopulation in Rumänien. Ermöglicht wird der Erfolg dieser beispiellosen Tierschutzmaßnahmen durch Futterspenden und finanzielle Hilfe.
Wir von VETO sind glücklich, dass wir Vereinen wie resQdogs zur Seite stehen können. Gemeinsam bewirken wir einen Fortschritt im europäischen Tierschutz.