Magazin · Tierschutz aktiv · 09. Oktober 2025 · 6 Min. Lesezeit
Drei Engel für Chaouen - VETO vor Ort in Marokko
Zur WM 2030 soll Marokko frei von Straßenhunden sein. In Chefchaouen, kurz „Chaouen“, leben die Hunde hingegen friedlich im Stadtzentrum – dank Leeny von Beldi Dog Rescue und ihrer Helferinnen. Lies hier, was wir mit Leeny und zwei ihrer Engel vor Ort erlebt haben.

Lachen trotz einer harten Realität: VETO vor Ort bei Elena, Leeny und Chaimaa, die sich mit Herz und Expertise um Chaouens Streuner kümmern. Foto: VETO
Während die Welt über Stadien und Spielpläne spricht, kämpfen in Marokko Menschen darum, das Leben derer zu retten, die keine Stimme haben.
Um Eyleen „Leeny “ Kanzler und ihren Verein Beldi Dog Rescue bei der Rettung und Versorgung von Straßenhunden zu unterstützen, waren wir im September in Chefchaouen, kurz „Chaouen“. Hier, am Rand des Rif-Gebirges, setzt sich die Deutsche seit 2019 für die Straßenhunde im Norden von Marokko ein. Den Großteil der Arbeit macht die Vollblut-Tierschützerin allein. Neben ihren Helferinnen und Helfern im Shelter hat sie Freiwillige, die sie mit vollem Einsatz und Herz unterstützen. Zwei von ihnen haben uns zusammen mit Leeny gezeigt, wie sie in den vergangenen Jahren rund 1000 Straßentieren ein neues Leben ermöglicht haben.
Ein internationales Dreiergespann sorgt für Chefchaouens Streuner
Wir treffen Leeny morgens zusammen mit Chaimaa, die in Chaouen geboren und Vereinsmitglied des marokkanischen Partnervereins von Beldi Dog Rescue e. V. ist, und Elena, gebürtige Ukrainerin, die zufällig vor ein paar Jahren in der Gegend gelandet ist. Man merkt, dass die drei schon lange zusammenarbeiten – sie sind ein eingespieltes Team und führen uns durch die Stadt, um uns ihre Arbeit für die Tiere näherzubringen. Schnell wird deutlich, dass die Straßentiere hier ohne die Hilfe dieser drei „Engel“ verloren wären – wir begegnen unzähligen Hunden, die nur dank ihres Einsatzes schwere Verletzungen und Erkrankungen überlebt haben.
„Wir haben viele Fälle mit superschlimmen Misshandlungen, mit Verstümmelungen. Hunde werden tagtäglich überfahren und einfach liegen gelassen.“
Eyleen Kanzler, Beldi Dog Rescue e. V.

Leeny mit Bruno, einem von ihr geretteten Hund in Chaouen. Foto: VETO
Frühmorgens ist Chefchaouen noch ruhig, aber schnell wird die Stadt laut und voll – viele Menschen, viel Verkehr, Hitze. Die ersten Hunde treffen wir auf einer vielbefahrenen Straße nahe dem Stadtzentrum an. Sie liegen am Straßenrand oder unter Autos, um sich vor der Sonne zu schützen, unbeachtet von den meisten Passanten: „Im Allgemeinen mögen die Menschen streunende Hunde nicht besonders,“ bedauert Chaimaa. Sie, Leeny, und Elena kennen dagegen die Leidensgeschichte und den Namen von jeder Hündin und jedem Hund, denen wir heute über den Weg laufen: „Ich bin jemand, der nicht einfach die Augen verschließen kann. Wenn man einmal das Leid gesehen hat, hat man das Gefühl, dass nur man selbst helfen kann,“ bestätigt Elena. Und das tun die drei mit Hingabe und Engagement.
Mit Einsatz und Expertise gegen den marokkanischen Mainstream
Leeny schätzt die Zahl der Hunde, die sie und ihr kleines Team in den vergangenen sieben Jahren gerettet haben, auf rund 1000, davon hat sie rund 500 kastriert, geimpft und getaggt. Alles mithilfe von privaten Spendengeldern, denn die Zusammenarbeit mit der Regierung gestaltet sich schwierig – dabei wünscht sich die Tierschützerin nichts sehnlicher. „Ein Schritt wäre, dass die Regierung mit uns Tierschützern Hand in Hand zusammenarbeitet, weil wir die Arbeit vor Ort machen. Wir kennen uns aus, wir kennen die Hunde, wir wissen, wie man sie einfängt und sozialisiert.“
Diese Expertise erleben wir live mit: Leeny lockt die getaggten Tiere zu sich und nutzt den Rundgang, um ihnen eine Auffrischung eines Parasitenmittels zu geben. Die Hunde sind Teil des TNVR-Programms von Beldi Dog Rescue und wurden zuvor mit Ohrmarken getaggt, damit erkenntlich ist, dass sie kastriert, medizinisch behandelt und geimpft worden sind. Das ist immens wichtig, da die Angst vor Tollwut im Land groß ist und viele Menschen die Hunde aus Angst und Unwissenheit aggressiv behandeln, so Leeny: „Man fängt hier im Land absolut bei null an. Man kann das nicht mit Europa vergleichen. Die meisten Menschen hier haben Angst.“
Ein Verhalten, von dem wir in Chefchaouen wenig mitbekommen – hier wirkt alles friedlich. Ein Trugbild, dem Leeny und Elena selbst am Anfang verfallen sind, als sie als Touristen das Land bereist haben, und das sie jetzt in ihrer Arbeit bestärkt.
„Wir machen dieses Projekt, weil man als Tourist die Situation nicht sieht. Aber dann beginnt man zu entdecken, wie die Tiere leiden, sogar die Katzen. Man denkt, sie leben hier im Paradies. Aber dann sieht man, was die Menschen tun oder welche Viruserkrankungen sie bekommen, wenn man sie nicht impft. Sie haben ständig Augeninfektionen, manche haben keine Beine. Es ist ständiges Leiden, wenn man es erst einmal bemerkt.“
Elena, freiwillige Helferin des marokkanischen Partnervereins von Beldi Dog Rescue
Öffentliche Gegenwehr und Arbeit für Generationen
Über diese Kluft zwischen Illusion und Realität haben wir bereits berichtet: Das friedliche Bild, das wir vor Ort gesehen haben, hat nichts mit dem brutalen Alltag zu tun, dem die Straßenhunde ausgesetzt sind. Auch getaggte Hunde verschwinden immer wieder oder werden tot aufgefunden. Die Einstellung der Menschen zu den Streunern zu verändern und damit das Leben der Tiere dauerhaft zu verbessern, ist noch ein weiter Weg: „Hier gibt es Arbeit für Generationen,“ so Elena.
Chaimaa gehört in ihrer Familie zur ersten Generation, die sich für die Hunde in ihrem Land einsetzt. Die junge Marokkanerin ist Vorstand des marokkanischen Partnervereins von Beldi Dog Rescue e. V. – obwohl sie bis vor fünf Jahren keine Verbindung zu Straßenhunden hatte: „Eines Tages ging ich allein zur Arbeit. Niemand war auf der Straße, und die Hunde in meiner Gegend folgten mir – ich bin immer noch darüber überrascht. Mir wurde schnell klar, dass sie mich beschützen wollten, und seitdem ich das erkannt habe, habe ich eine sehr gute Beziehung zu ihnen.“
Eine Beziehung, die weitreichende Folgen mit sich trägt, denn sie wurde für ihre Arbeit mit den Hunden in der Vergangenheit bespuckt und verletzt: „Eine unserer Nachbarinnen hat mir schwere Verletzungen im Gesicht zugefügt, weil ich den Hunden geholfen und sie gefüttert habe.“ Trotzdem steht die Marokkanerin Leeny weiterhin zur Seite, hilft ihr bei der Vereinsarbeit und füttert und versorgt die Straßentiere in Chefchaouen: „Ich mache die Arbeit immer noch, weil sie mir sehr am Herzen liegt. Ich bin überzeugt, dass es richtig ist, den Hunden zu helfen, und ich tue alles, was ich kann.“
Die meisten anderen Einheimischen sind nicht so mutig: Der Sohn eines Teppichhändlers, der die Hunde in seiner Straße füttert und Leeny Bescheid gibt, wenn er verletzte Hunde sieht, möchte nicht vor die Kamera. Und auch einer der Besitzer des Triana, des Restaurants, in dem der FIFA-Vorsitzende Gianni Infantino im Juli zu Gast war, möchte sich nicht zu den geplanten „Säuberungsaktionen“ der Straßenhunde im Rahmen der WM 2030 äußern. Die Menschen haben offenbar nicht nur Angst vor den Straßenhunden selbst, sondern ebenfalls Angst, über die Tiere zu sprechen.
Aufgeben ist keine Option
Die Verantwortung für die Hunde übernehmen stattdessen mutige Frauen wie Leeny, Chaimaa und Elena, obwohl ihre Arbeit jeden Tag von mangelnder Unterstützung, langen Tagen, schweren Rückschlägen, persönlichen Angriffen und nur kleinen Erfolgen geprägt ist. Warum machen sie trotzdem weiter? Wir bleiben an einem zentralen Ort in der Stadt stehen, an dem für Leeny alles anfing. Sie erzählt uns von der Massentötung, die hier vor sieben Jahren stattfand und nach der sie sich entschlossen hat, ihr Shelter aufzubauen.
Sie hat als Touristin in Chaouen regelmäßig Straßenhunde gefüttert, bis die Tiere eines Morgens weg waren. Hunde, die über Nacht verschwinden – das haben wir bereits in Essaouira von mehreren Menschen gehört. „Ich habe mich natürlich gefragt, wo die Hunde sind,“ berichtet Leeny „und dann haben schon zwei Hunde tot dagelegen und die Anwohner haben mir gesagt, dass sie über Nacht vergiftet worden sind. Man hat mir erzählt, dass man sie auf die Müllhalde gebracht hat.“ Damit stand ihr Entschluss fest, „weil es sonst niemanden gibt.“
Einige der Hunde, die Leeny bei einer zweiten Massentötung im Jahr 2021 gerettet hat, sind immer noch bei ihr im Shelter. Manche haben jedoch Glück und finden ein neues Zuhause. Am Ende des Tages gehen wir zu so einem Glücksfall in Chaouen und bringen ihn in Leenys Refuge, um ihn auf seine Ausreise vorzubereiten: „Eine Touristin hat ihn auf der Straße gesehen und sich in ihn verliebt.“ Auf der Ohrmarke des Hundes stand die Webseite des Vereins. So konnte die Engländerin Leeny kontaktieren. Das Leben auf der Straße hatte für den Vierbeiner damit endlich ein Ende

Mit viel Zureden können wir den frisch adoptierten Straßenhund in den Transporter locken. Foto: VETO
Ein Vorbild für ganz Marokko
Jetzt, wo sich die WM nähert, kann die Arbeit von Beldi Dog Rescue als Vorbild dienen: „Ich hoffe, dass das Land TNVR-Programme durchführt, so wie Leeny. Das ist die einzige humane Lösung, die uns helfen kann, die Anzahl der Hunde zu verringern und eine gesunde Umwelt ohne Tollwut zu schaffen,“ so Chaimaa.
„Marokko könnte viel verlieren, wenn es sich entschließen würde, die Hunde zu töten.“
Chaimaa, Vereinsvorstand des marokkanischen Partnervereins von Beldi Dog Rescue
Auch für Elena ist aufhören keine Option: „Manchmal denke ich ‚Nein, ich mache das nicht mehr,‘ und einen Moment später sage ich mir ‚Okay, dich nehme ich mit, du bist der Letzte.‘ Und jetzt haben wir 21 Katzen und einen Hund.“ Auch sie sieht die Fußballweltmeisterschaft als Möglichkeit für Marokko: „Es ist eine riesige Chance, der Welt zu zeigen, dass wir Marokkaner sind. Wir sind diejenigen, die Tieren helfen. Und wenn die Regierung diese Bewegung unterstützt, wäre das schon ein großer Schritt.“
Helfen wir den drei Engeln, ihren Weg fortzusetzen: mit einem neuen Tierheim für Beldi Dog Rescue, mit Futter und Hilfe bei der medizinischen Versorgung ihrer Schützlinge. Diese drei Frauen sind ein Vorbild für den Tierschutz in Marokko und der Beweis, dass Veränderung möglich ist, wenn wir sie gemeinsam anstoßen.