Magazin · Tierschutz aktiv · 13. Oktober 2025 · 6 Min. Lesezeit
Von der Touristin zur Aktivistin: Eyleen "Leeny" Kanzler von Beldi Dog Rescue
Eyleen Kanzler kommt 2018 als Touristin nach Marokko, sieht das unermessliche Leid der Straßenhunde vor Ort und entscheidet sich in einer „Kurzschlussreaktion“ dazu, nach Marokko auszuwandern, um für die Tiere da zu sein. Lies hier alles über ihren abenteuerlichen Weg.

Seit 2019 kümmert sich Leeny um die Straßentiere in Chefchaouen. Foto: VETO
Ein Shelter als Kurzschlussreaktion
Chefchaouen ist eine der weltweit bekanntesten Touristenattraktionen im Norden von Marokko. Auch Leeny kommt zunächst als Urlauberin in die berühmte blaue Stadt am Rande des Rif-Gebirges, wo sie ein friedliches Miteinander von Locals und Straßenhunden erlebt. Das stellt sich schnell als Illusion heraus – ihre Geschichte beginnt mit einem Trauma:
„Als ich 2018 auf einer Reise hier war, habe ich eine Massentötung auf der Straße gesehen. Und das hat mich ziemlich mitgenommen und traumatisiert.“
Eyleen Kanzler, Beldi Dog Rescue e. V.
Einfangen, Erwürgen, Vergiften oder Erschießen, das sind nur einige der brutalen Tötungsaktionen, die Tierschützende in Marokko bezeugen – so auch die Deutsche: „Ich habe auf meiner Reise die Hunde auf der Straße gefüttert und eines Abends waren sie auf einmal weg, und dann haben schon zwei Hunde tot dagelegen und die Anwohner haben mir gesagt, dass sie über Nacht vergiftet worden sind.“
Ein erschütterndes Erlebnis, das bei ihr die Entscheidung auslöst, auszuwandern, um den Hunden langfristig zu helfen. Eine Kurzschlussreaktion, wie sie sagt: „Ich war traumatisiert und schockiert.“ Der Schock sitzt auch Jahre später noch tief – das wird im Interview mit der jungen Tierschützerin deutlich: „Es ist nicht einfach, darüber zu reden. Das hängt mir immer noch nach, das verfolgt mich.“

An diesem Platz in Chefchaouen hat die engagierte Tierschützerin 2018 eine Massentötung gesehen - so fing alles an. Foto: VETO
1.000 gerettete Hunde – und der Staat tötet weiter
Sie gibt ihr Leben in Deutschland auf und geht nach Chefchaouen – für die Straßentiere. Nach der Entscheidung, auszuwandern, kommt der nächste Schreck: Die fehlende Infrastruktur in der Region: keine Tierheime, kein Tierschutz, keine Tierärzte. Hinzu kommt die „gestörte Beziehung zu den Hunden“, die Leeny bei den Einheimischen beobachtet – egal, ob alt oder jung: „Die Hunde hier in der Region sind komplett auf sich gestellt. Ich wusste, dass ich ihnen helfen muss, weil es sonst niemanden gibt.“ Sie kündigt ihre Wohnung und ihren Job und kommt vier Monate später mit dem Rucksack in Marokko an: „Ich war komplett allein, habe die Sprache nicht gesprochen und einfach herumgefragt, wer Land für ein Shelter hat.“
Heute, sieben Jahre später, hat Leeny das Beldi Refuge, ein Tierheim mit derzeit mehr als 100 Hunden, und ein kleines, aber engagiertes Team von Helferinnen und Helfern vor Ort. Einige von ihnen haben auf unserer Tierschutzreise im September getroffen. Den Großteil der Arbeit leistet Leeny jedoch eigenständig. Trotz andauernder Rückschläge und fehlendem Verständnis der Bevölkerung gibt sie nicht auf: „Ich habe so viele Hunde getaggt und wir haben so vielen Tieren hier geholfen – die kann ich einfach nicht alleinlassen.“

Die Hunde im Beldi Refuge verlieren ihre sichere Heimat, wenn der Verein nicht bald ein neues Grundstück findet. Foto: VETO
Rund 1.000 Straßentiere haben dank ihrer Arbeit in der Region die Chance auf ein neues Leben erhalten. Es war von Anfang an ein schwieriger Weg, voller Hürden und ohne Unterstützung der Behörden oder der Einheimischen. Eine Aufgabe, die das Leben der Deutschen seit 2019 komplett einnimmt: „Ich kann nicht mal kurz zum Einkaufen gehen, weil ich wirklich überall Hunde sehe, die dringend Hilfe brauchen. Ein Traum wäre einfach mal eine Woche Urlaub.” Doch das erlaubt die momentane Situation nicht: Ohne Unterstützung der Regierung weiß Leeny, dass die TNVR-Programme ihres Vereins (einfangen, kastrieren, impfen, und wieder freilassen, gekennzeichnet durch eine Ohrmarke) die einzige Lösung sind, um das Leid der Straßentiere in der Region langfristig zu verringern: „Wir haben hier circa 500 Hunde kastriert, geimpft und getaggt.“ Viele dieser Hunde sehen wir in Chefchaouen auf unserer Tierschutzreise, und Leeny kennt die Geschichte von jeder Hündin und jedem Hund mit Ohrmarke, denen wir auf unserem Rundgang durch die Stadt begegnen.
Die bestürzende Wahrheit: Selbst gekennzeichnete Hunde „verschwinden“ immer wieder: „Ich habe viele Gespräche mit Autoritäten gehabt und wir haben Präsentationen gegeben, damit unsere TNVR-Arbeit zumindest offiziell anerkannt wird und wir die Gewissheit haben, dass die getaggten Hunde in Ruhe gelassen werden. Es ist unser Ziel, TNVR-Programme in Zusammenarbeit mit der Regierung zu machen, weil sonst trotzdem die Gefahr besteht, dass diese Hunde getötet werden.“
Sie berichtet von einer weiteren Massentötung: „Die größte Tötungsaktion, die ich hier erlebt habe, war im Oktober 2021. Da hat die Regierung Hundefänger damit beauftragt, die Hunde gewaltsam im großen Stil einzufangen, auf Lkw aufzuladen und dann wegzubringen. Keiner weiß, was mit ihnen passiert wäre – wir können es uns aber denken.”
„Es war wie Krieg in der Stadt. Wir haben über Nacht ungefähr 40 Hunde von dem Truck befreit und bei uns im Shelter aufgenommen. Von schwangeren Hündinnen über alte Senioren bis hin zu kleinsten Welpen war alles dabei.“
Eyleen Kanzler, Beldi Dog Rescue e. V.
Eine aufreibende Rettungsaktion, die nicht ohne Folgen verlief: „Die Polizei hat einen Teil von unserem Team über Nacht in Gewahrsam genommen, obwohl wir vollkommen friedlich waren.“ Das Bild, das sich den Tierschützenden bei der Befreiung der Hunde aus dem Lkw zeigte, war erschütternd: „Die Hunde haben in ihrem Kot und ihrem Erbrochenen gesessen und hatten einfach nur Riesenangst.“
Je brutaler die Realität, umso engagierter schreitet Leeny voran – trotz allem: „Wenn es uns nicht gäbe, wäre die Tür wesentlich offener für die Tötungen. Seitdem wir hier sind und seitdem wir in Kontakt mit der Regierung stehen, sind die Tötungen bei uns in der Region wesentlich weniger geworden.“
Hunde, die „wie Fliegen sterben”
Jetzt, seit der Ankündigung der Fußballweltmeisterschaft, hat sich die Situation wieder verschlimmert: „Ich spüre auf jeden Fall, dass die Regierung Druck wegen der WM hat, auch wenn noch viel Zeit bis dahin ist.“ Um für die FIFA-WM bis 2030 für ein „sauberes” Straßenbild zu sorgen, baut der Staat vermehrt sogenannte „Fourrières“ – laut Leeny „eigentlich nur Tötungsstationen.“ Es droht ein Massaker. Im Namen des Fußballs:
„Was ich mir von der Bevölkerung wünsche, ist, dass der Aufschrei im Land wegen der Tötungen viel größer ist.”
Eyleen Kanzler, Beldi Dog Rescue e. V.
Wie die Türkei ist Marokko offensichtlich nicht an einer humanen Lösung für die Straßentiere interessiert:
„Es ist praktisch gewollt, dass die Hunde in den ,Fourrières‘ wie Fliegen sterben – ich muss es einfach so sagen.“
Eyleen Kanzler, Beldi Dog Rescue e. V.
Aus der Krise zum Neuanfang
Was macht die Bevölkerung? Sie schweigt – ein Bewusstsein für die Tiere gibt es im marokkanischen Mainstream nicht. Ganz im Gegenteil: „Hunde werden zusammengeschlagen. Wir haben Welpen gehabt, denen man das Bein abgetrennt hat,“ berichtet Leeny von den brutalen Misshandlungen, die sie fast täglich sieht: „Wir haben ganz oft Fälle, wo Kinder die Tiere misshandeln – die schauen sich das einfach ab.“ Aus diesem Grund ist Aufklärung so wichtig für die Deutsche und ihr Team. Ihre Vision ist eine Zusammenarbeit mit der Regierung, mit der Öffentlichkeit und mit den Schulen: „Wir wollen in die Schulen gehen, wir wollen aufklären, wir müssen die Kinder für das Thema sensibilisieren.“
Doch erstmal gilt es, die aktuelle Krise zu überwinden, damit Leeny überhaupt weitermachen kann: Ihr Verein bekommt seit zwei Jahren keine Genehmigungen für Bauarbeiten in ihrem dringend renovierungsbedürftigen Shelter. Hunde brechen aus den Bereichen innerhalb des Geländes aus und die Verletzungsgefahr steigt täglich. Der Verein braucht schnell ein neues Grundstück, damit die Tiere nicht bald ihre einzige Chance auf ein sicheres Zuhause verlieren und damit Leeny und ihr Team ihre lebensrettende Arbeit weitermachen können.

Einer der zahlreichen von Leeny getaggten Hunde im Zentrum von Chefchaouen. Foto: VETO
„Ich wünsche mir, dass wir neu anfangen können – wir haben ja auch keine Wahl. Wir brauchen größere Kapazitäten, um noch mehr Hunde aufnehmen zu können. Wir möchten eine kleine Klinik bauen, damit wir auch in Zukunft dort kastrieren können.“
Eyleen Kanzler, Beldi Dog Rescue e. V.
Und das wünschen wir uns auch für die Vollblut-Tierschützerin, die seit sechs Jahren jeden Tag mit übermenschlichem Einsatz für Marokkos Straßentiere sorgt. Unterstütze Leeny, damit sie mit Beldi Dog Rescue ein neues Kapitel aufschlagen kann – jede Spende macht einen Unterschied!
Du möchtest zusätzlich aktiv werden?
Unterschreibe hier unsere Petition für die konsequente Umsetzung von Kastrations- und Impfprogrammen, die finanzielle und organisatorische Unterstützung für Tierheime und Tierschutzvereine und den Bau von neuen, sicheren Unterkünften.
Unterzeichne hier unseren offenen Brief an FIFA-Präsident Gianni Infantino und das Exekutivkomitee und setze damit ein Statement gegen die geplante Tötung von Straßenhunden im Kontext der WM 2030. Fordere verbindliche Auflagen für den Gastgeber Marokko, um humane Maßnahmen (TNVR) zu ergreifen und finanzielle Hilfe für anerkannte Organisationen zu leisten, die sich für Straßentiere einsetzen.
Verfasse eine Protest-Mail: Schreib den Sponsoren der FIFA: Wer Milliarden in den Fußball steckt, darf Massentötungen nicht unterstützen.






