Magazin · Tierschutz aktiv · 25. Juni 2025 · 7 Min. Lesezeit
Notruf für 500 Tiere aus Antalya – wie konnte es so weit kommen?
Während die Türkei weiterhin ihre Straßenhunde töten lässt, übernehmen private Tierheime die Verantwortung. Ihre Überforderung spitzt sich täglich zu und jetzt stehen auch sie kurz vor dem Zusammenbruch – wie das größte Shelter in Antalya.

Über 500 Hunde und Katzen sind im größten privaten Tierheim von Antalya in Not. Foto: VETO
„Wir haben mit 18 Hunden angefangen. Dann ging es hoch auf 31, dann 50, 100, 150, bis zu 300. Die Versorgung der 300 Hunde haben wir noch mit zwei Mitarbeitern geschafft. Aber jetzt sind es rund 600 Hunde und 300 Katzen – und das schaffen wir einfach nicht ohne zusätzliches Personal.“
Mükerrem Ergülen, KuHayDer
Fast 900 Tiere hat Mükerrem bei unserer Tierschutzreise im März geschätzt. Es herrschte Chaos und Überforderung – ein genauer Überblick der Lage war nicht möglich. Durch die Unterstützung von VETO und weiteren Partnervereinen war es nun möglich, eine genaue Zählung vorzunehmen. Im Tierheim sind 473 Hunde und 73 Katzen. Eine unfassbar hohe Anzahl von Tieren und eine logische Folge der in der Türkei 2024 beschlossenen Änderung des Tierschutzgesetzes Nr. 5199.
Die offizielle Begründung der Gesetzesänderung von vor fast genau einem Jahr: Schutz der Bevölkerung. Doch in der Realität erleben türkische Tierschützende, wie “Waldengel” Tugay Abukan und Mükerrem Ergülen wie friedliche, kastrierte Hunde – darunter auch solche, die in Familien zuhause sind – verschwinden, in Tierheimen verhungern oder in abgelegene Einrichtungen unzugänglich und ohne Versorgung abgeschoben werden.
Hinzu kommen brutale Tötungen und Massengräber – ein Massaker. Das unermessliche Leid der Tiere mussten wir bei unserer Reise im März, wo wir unter anderem Jeanette Guth von unserem Partnerverein Tierschutz Lara Kundu e. V. trafen, selbst bezeugen.

In Massengräbern wie diesen wurden bisher unzählige Hunde verscharrt. Foto: VETO
Wir haben letztes Jahr nach der Gesetzesänderung umfassend gehandelt: Wir haben die Kampagnen Hilferufe der Straßentiere und Hilferufe der Tierschützenden ins Leben gerufen, um den Tierschützenden vor Ort bei der Rettung und Versorgung der heimatlosen Hunde zur Seite zu stehen. Unsere Petition wurde von 100.000 Menschen unterzeichnet. Da die Lage in der Türkei in den darauffolgenden Monaten eskaliert ist, sind wir mit weiteren Aktionen im Rahmen unserer Kampagne Stoppt das Massaker für die Tiere aufgestanden: Mit einem offenen Brief an islamische Verbände haben wir an ihr Mitgefühl für die Straßentiere appelliert. Zusätzlich organisierten wir Protestaktionen, einen Aufruf zum Urlaubsboykott und wir haben eine zweite Petition verfasst, die bereits mehr als 60.000 Menschen unterschrieben haben.
Durch den überwältigenden Erfolg unserer Kampagne in 2024 konnten wir statt der ursprünglich geplanten fünf insgesamt 17 Tierschutzvereine in der Türkei unterstützen. Wir haben das Leben von hunderten Straßenhunden gerettet und ein Rundumpaket für sie geschnürt : Die Errichtung und Ausweitung von geschützten Unterkünften, die Sicherstellung von medizinischer Versorgung, Kastrationen und die langfristige Versorgung der Tiere mit Futter.

Die von uns unterstützten Tierschutzvereine können ihre Schützlinge vorerst sicher versorgen. Foto: VETO
Seitdem ist ein Jahr vergangen – aufatmen können die türkischen Tierschützenden trotzdem nicht. Je mehr Zeit vergeht, desto ruhiger wird es um das Gesetz, die Hemmschwelle sinkt und die Maßnahmen verschlimmern sich: Hunde verschwinden weiterhin im ganzen Land, werden in abgelegenen Gegenden zum Sterben ausgesetzt oder in öffentliche Tierheime gebracht, wo sie dem Sterben überlassen werden oder direkt getötet werden.
Wie überall mangelt es auch in der Türkei an Kapazitäten: Laut Aussagen der Regierung gibt es derzeit vier Millionen Straßenhunde im Land. Dem gegenüber stehen gerade einmal 100.000 Tierheimplätze. In 1.200 der 1.389 Gemeinden in der Türkei gibt es laut Medienberichten überhaupt keine Tierheime. Die Zahlen sprechen für sich.
In der türkischen Bevölkerung fehlt es, wie in vielen Ländern, an Verständnis und Aufklärung, und die wenigen privaten Tierheime sind am Limit, bestätigt Mükerrem: „Wir machen das alles ehrenamtlich. Ich könnte nie an einem verletzten Tier vorbeifahren und es einfach sterben lassen – egal, ob Hund, Katze oder ein anderes Tier.“
Selbst Privatleute bringen ihre Hunde inzwischen in Tierheimen, wie dem in Antalya unter, weil die Angst zu groß ist, dass die Hunde sonst eingefangen und getötet werden.
„Seitdem das neue Gesetz beschlossen wurde, bekommen wir zusätzlich immer wieder Hunde von Privatpersonen dazu, weil die Leute Panik haben, dass man ihre Hunde im eigenen Garten einfängt und tötet.“
Mükerrem Ergülen, KuHayDer
Dies führt in der Folge zu noch größerem Kapazitätenmangel, wie nun bei KuHayDer. Das größte private Tierheim in Antalya steht kurz vor dem völligen Kollaps und die Lage spitzt sich täglich zu. Die Betreiber kämpfen verzweifelt für ihre rund 500 Hunde und Katzen. Ohne Hilfe droht die Abgabe an das städtische Tierheim – und dort die Tötung: „Nur mein Mann und ich schaffen das nicht allein. Wir brauchen Baumaterialien, Geld für Medikamente und mehr Personal,“ so Mükerrem.
Im Fall KuHayDer zeigt sich, was landesweit schiefläuft – aber hier können wir konkret helfen.

Strukturen und ein konkreter Plan sind notwendig, um das Chaos im Tierheim in Antalya in den Griff zu bekommen. Foto: VETO
Die gute Nachricht: Personal konnte in den letzten Tagen bereits dank Spendeneinnahmen gestellt werden – es wurden sechs Mitarbeiter eingestellt, fünf Angestellte und ein Manager für das Tierheim. Die schlechte Nachricht: Es wird ein langer Weg sein, um die jahrelange Unterbesetzung auszugleichen: Es fehlen Strukturen und Abläufe und im Shelter herrscht Chaos – die konstante Überforderung der Betreiber zeigt sich überall. Man wollte möglichst vielen Tieren trotz mangelnder Kapazitäten helfen, was nun dazu führt, dass es Beißvorfälle gibt, da nicht-kastrierte Hunde zusammen untergebracht werden müssen und zwei gerettete Welpen in den letzten Tagen gestorben sind, da ihre Versorgung nicht gewährleistet werden konnte. Zudem gibt es keinen Überblick darüber, welche Tiere kastriert oder geimpft sind oder die exakte Anzahl der Tiere, die zur Zeit im Shelter untergebracht sind.
Die nun im Sommer steigenden Temperaturen erschweren die Arbeit der Tierschützenden zusätzlich. Während im Winter laut Mükerrem die Kälte das Leben der Tiere gefährdet: „Wir haben hier nachts Minusgrade“, ist es nun die Hitze, die die Hunde und ihre Versorger stresst.
Nachdem die letzten Jahre Tierschutz Lara Kundu und der Verein Fellnasenhilfe Antalya geholfen haben, übernimmt VETO ab jetzt die Koordination der nächsten notwendigen Schritte vor Ort. Gemeinsam mit unseren Partnervereinen bauen wir eine Infrastruktur auf, die langfristig eine gute Versorgung garantiert, damit wir Notlagen wie in Antalya in Zukunft verhindern, bevor sie entstehen.
Mehr als 500 Tiere retten oder dem sicheren Tod überlassen – der drohende Zusammenbruch von KuHayDer ist kein Einzelfall, aber dieser Moment entscheidet. Hilf uns mit deiner Spende, Personal in Antalya für die kommenden sechs Monate zu bezahlen, Futter zu stellen und medizinische Versorgung zu leisten. Und den Tierschützenden vor Ort ein Aufatmen zu ermöglichen.
Wenn die Politik versagt, ist es an uns, Leben zu retten. Tiere dürfen nicht zum Opfer von Verfehlungen der Regierungen werden.