Magazin · Tierschutz aktiv · 10. September 2025 · 7 Min. Lesezeit
Ein Jahr Massaker in der Türkei - ein trauriges Jubiläum
Diesen August ist es ein Jahr her, seitdem das Massaker in der Türkei begonnen hat. Zwölf Monate, in denen das grausame Töten von Straßentieren in dem Land nicht nur offiziell erlaubt, sondern gewollt ist.

Wir machen weiter! Dank dir hat VETO bisher unzähligen Tieren und Tierschützenden in der Türkei geholfen. Foto: VETO
„Wenn man ein solches Massaker mit eigenen Augen sieht, dann kann man nicht einfach wegsehen. Schon während der Entstehung dieses Gesetzes galt es in der Öffentlichkeit als ‚blutiges Gesetz‘. Wir haben unzählige Male gewarnt, wir haben die Verantwortlichen angesprochen und gemahnt: So ein Gesetz darf es nicht geben.“
Ibrahim Kaya, türkischer Aktivist
Seit der Verabschiedung des heftig umstrittenen Straßentiergesetzes eskaliert die Gewalt gegen Straßentiere in der Türkei. Katzen und Hunde verhungern auf den Straßen, private Tierhalter geben ihre Hunde aus Angst in Tierheimen ab, Tierschützende werden bedroht und sind völlig überfordert, Shelter stehen kurz vorm Kollaps und nach der Ablehnung des Antrags auf Annullierung des Gesetzes im Mai schwindet die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage.
Umso wichtiger, dass wir jetzt nicht aufhören. Wenn wir auf die niederschmetternde Realität der vergangenen zwölf Monatezurückblicken, ist unser Einsatz die einzige Möglichkeit, die Lage der Straßentiere in der Türkei langfristig zu verändern. Eine Situation, die ausschließlich der Verantwortungslosigkeit und dem völligen Versagen der türkischen Politik geschuldet ist. Ibrahim Kaya, den wir vor Ort interviewt haben, formuliert es ganz klar: „Ein Staat tötet nicht, er schützt und erhält Leben. Doch leider wurde dieses blutige Gesetz in unserem Land verabschiedet. Inzwischen ist ein Jahr vergangen.“
Wie das Massaker begann
Systematische Tötungen durch städtische Einrichtungen, Massengräber, und Hunde, die sich aus Hungersnot in den überfüllten Unterkünften gegenseitig auffressen. Das sind nur einige der Horrormeldungen, die uns 2024 aus der Türkei erreichten. In der offiziellen Kommunikation der Regierung heißt es, dass kranke und aggressive Tiere eingeschläfert werden dürfen, sofern sie ein Risiko für die Bevölkerung darstellen. In der Realität fehlt jegliche Nachvollziehbarkeit, aus welchen Gründen Hunde eingefangen oder getötet werden – die Situation spitzt sich schnell zu und entwickelt sich zu einem Massaker.
Vor Inkrafttreten des Gesetzes gab es laut Kaya rund vier Millionen Straßentiere. Ein Jahr später schätzt der Aktivist, dass es landesweit nur noch etwa sechshundert – bis siebenhunderttausend Streuner gibt. Die offiziellen Zahlen der Regierung weichen davon ab, es ist jedoch belegt, dass es nur Platz für ungefähr 140.000 Tiere in den türkischen Sheltern gibt. Die Kommunen stehen laut Aussagen der Tierschützenden in einer Art Wettbewerb, wie viele Hunde sie ‚von der Straße holen‘. „Diese Hunde werden bei vollem Bewusstsein mit Embutramid gespritzt. Ihre Atemorgane werden gelähmt – sie verenden qualvoll,“ so Tierschützerin und Aktivistin Amina Meriç, die seit 2024 das Massaker von Deutschland aus dokumentiert.
Kaya bestätigt: „Die meisten Gemeinden töten die Tiere absichtlich oder lassen sie qualvoll verhungern und verdursten.“ Für sie sind die Straßentiere ein unnötiger Kostenfaktor: „Der einfachste Weg für sie ist es, die Tiere zu töten.“ Und das auf brutale Weise. Der Aktivist ist bekannt für seine Videoaufnahmen von den Gräueltaten, denen die Tiere ausgesetzt werden: „Wir haben unzählige Massaker miterlebt – ich habe gesehen, wie man Tieren mit Eisenstangen auf den Kopf schlug. Wie man sie mit Fanggeräten brutal würgte, durch die Luft schleuderte, mit großen Steinen bewarf. Hunde wurden lebendig begraben. Mein Ziel ist es, diese Massaker ans Licht zu bringen.“
Und dafür bringen sich die türkischen Aktivistinnen und Aktivisten in Lebensgefahr, werden massiv bedroht und eingeschüchtert: „Ich muss meinen Wohnort geheim halten und habe Personenschutz – ich stehe auf der Liste,“ berichtet Amina. Sie bekommt auf Großveranstaltungen in Deutschland Personenschutz und reist nicht mehr in die Türkei ein – aus Angst, dort verhaftet zu werden.

Aktivisten wie Ibrahim Kaya müssen mit massiven Bedrohungen rechnen, sobald sie die Wahrheit an die Öffentlichkeit bringen. Foto: VETO
Kaya hat seit dem Inkrafttreten des Gesetzes mehr als 500 Shelter in 51 von 81 Provinzen seines Landes besucht: „Immer wieder wird behauptet, es handle sich nur um Einzelfälle. Aber das stimmt nicht. Ich habe es selbst gesehen: Von insgesamt 1.389 Gemeinden in unserem Land könnte ich nicht einmal 10 nennen, die den Tieren wirklich gerecht werden,“ bezeugt der Aktivist.
„Oft ist das, was ich erlebe, so traumatisch, dass es sich anfühlt, als würde sich ein Schleier über meine Augen legen.“
Ibrahim Kaya, türkischer Aktivist
Es war klar, dass auch wir nicht wegschauen, sondern dieses Leid öffentlich machen würden. Dank der VETO-Community kam unsere Hilfe dort an, wo sie am meisten gebraucht wurde.
Unsere erste Kampagne Hilferufe der Straßentiere: Aktivismus, eine Petition, und umfassende Hilfe für die Tiere vor Ort
Gemeinsam haben wir mit deiner Hilfe mehr erreicht, als wir uns jemals vorgestellt haben: 134.000 Euro für medizinische Hilfe, 164.000 Euro für den Bau von Notsheltern und Kennels und rund 289 Tonnen Futter. Statt der ursprünglich geplanten 5 haben wir insgesamt 17 Tierschutzvereine unterstützt. Unsere Petition wurde von mehr als 100.000 Menschen unterzeichnet und von uns beim Verfassungsgericht eingereicht, als dort die Annullierung des Straßentiergesetzes auf der Tagesordnung stand. Unsere starke Community hat zusätzlich mit dem VETO-Unterstützermaterial das Thema weiter in die Öffentlichkeit gebracht.
Wir hatten die Möglichkeit, vor Ort die Arbeit von Tierschützenden wie Tugay Abukan zu unterstützen, der sich um die Hunde in Istanbuls Wäldern kümmert. Das Treffen mit dem „Waldengel“ hat uns tief berührt.
„Für die Straßentiere wünsche ich mir, dass sie ein schönes Leben haben. Die Welt gehört nicht nur den Menschen. Schaut euch dieses unschuldige Lebewesen an. Er liegt hier einfach und das Einzige, was er benötigt, ist Liebe und Zuneigung. Diese Tiere wollen sonst nichts. Das ist ihr einziges Anliegen: Liebe. Sonst nichts.”
Tugay Abukan, türkischer Tierschützer

Tierschützer und "Waldengel" Tugay Abukan gibt uns Zuversicht. Foto: VETO
Auf unserer Tierschutzreise im März 2025 konnten wir uns davon überzeugen, dass wir mit unserem Support bereits eine deutliche Verbesserung für die Situation der Tiere erreicht hatten. Aber der Zustand der Hunde in den Sheltern – vor allem der Welpen – schockierte uns. Es würde noch ein langer Weg sein.
„Wir haben erfahren, dass hier regelmäßig Hunde wieder abgeholt werden, angeblich zur medizinischen Versorgung. Doch diese Hunde kommen nicht mehr zurück. Man kann sich wahrscheinlich ausmalen, was mit ihnen passiert.“
André Meyer, VETO
Start unserer zweiten Kampagne: Stoppt das Massaker – Protestaktionen, Notfallhilfe, und eine zweite Chance für Hunderte
2025 eskaliert die Situation in der Türkei: Tierschützende werden massiv bedroht, kastrierte Hunde verschwinden und die Bevölkerung wird durch Regierungspropaganda zunehmend aufgehetzt, was dazu führt, dass Privatleute Hunde und Katzen foltern und brutal töten. So gibt es „Prämien“ von etwa fünf Euro pro getötetem Hund und man kann an einem Wochenende ein Zertifikat machen, um Hunde offiziell jagen zu dürfen.
Wir veröffentlichen eine weitere Petition, die bislang mehr als 80.000 Unterschriften erzielt hat und setzen ein deutliches Zeichen gegen die türkische Politik mit unserer Teilnahme an Demos in Deutschland und mit unserer Mahnwache in Berlin vor der türkischen Botschaft. Wir rufen erfolgreich dazu auf, die Türkei als Urlaubsland zu boykottieren und Mitglieder der VETO-Community haben zahlreiche Protestmails geschickt.
Mit Hilfe der Spendengelder haben wir unzählige Tiere und Tierschützende überall in der Türkei unterstützt. Unser Einsatz in Zahlen im Rahmen von Stoppt das Massaker:
- 114.269,27 Euro für medizinische Hilfe
- 99.914,85 Euro für Baumaßnahmen und Personal
- 199.820 Kilogramm Futter
Doch damit war es nicht getan – im Juni erreichte uns ein Notruf aus Antalya. Im Rahmen der Rettungsmission Antalya haben wir nicht nur das größte Tierheim in Antalya vor der Schließung gerettet und damit hunderten Tieren eine zweite Chance gegeben, sondern die Lebensbedingungen aller Hunde und Katzen im Shelter dank Baumaßnahmen und zusätzlichem Personal beträchtlich verbessert und ihre Zukunft durch medizinische Hilfe und Futter gesichert – ein großer Erfolg, für den wir sehr dankbar sind.
Auch die Tiere im ehemaligen Shelter von Help Animals Antalya sind dank der VETO-Community und unseren starken Kooperationspartner vor Ort komplett versorgt – mit Futter, neuen Gehegen, neuer Infrastruktur und Impfungen, Kastrationen, Parasiten- und Wurmbehandlungen.
Zusätzlich gingen Mittel aus unserem Soforthilfe-Topf für Medizin, Baumaßnahmen und Futter an:
- Hoffnung für Niemandshunde e. V.
- TIERisch e. V.
- Herz für viele Pfoten International e. V.
- Niemandshunde Türkei – eine ganze Pfote e. V.
- Fellnasenhilfe Antalya e. V.
- Tierschutz Lara Kundu e. V.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir wollen auch in Zukunft eine führende Stimme gegen das sinnlose und inhumane Töten von Straßenhunden in der Türkei sein. Mit unserer aktuellen Kampagne Ein Jahr Massaker fokussieren wir uns genau auf die Tiere, die das Massaker überlebt haben. Ein konkretes Projekt, das wir bereits unterstützt haben und weiterhin unterstützen wollen, ist Aminas Verein Stop the Killing e.V. Priorität ist die Schaffung von geschützten Orten für die Hunde im harten Winter in den türkischen Gebirgen. Und das ist nur ein kleiner Teil unserer geplanten Hilfe. Wir wollen den Straßentieren in der Türkei langfristig eine Chance auf ein Leben in Sicherheit und Würde geben: mit dauerhaftem Zugang zu sauberem Wasser, nahrhaftem Futter, wetterbeständigen Kennels, genügend Auslauf, medizinischer Versorgung und Pflege und Fürsorge. Langfristig wollen wir so viele Tiere wie möglich in ein liebevolles Zuhause vermitteln. Und das Thema weiterhin einer größeren Öffentlichkeit zugänglich machen.
Unsere Stimme ist so wichtig, weil die Hoffnung der türkischen Tierschützenden darauf liegt, dass international Druck ausgeübt wird – vor allem von Deutschland.
„Die Türkei bekommt Schiss, weil das Ausland hinschaut.“
Amina Meriç
Schauen wir nicht weg. Gemeinsam machen wir weiter für eine Zukunft ohne Tierleid – auch in der Türkei.